Äm Chemifäger sis Päch

Des Lebens unaufhaltsamer Lauf

Vielerlei Klänge und Empfindungen bergen Erwin Messmers neue Mundarttexte.
Der Bund 12.11.2014, Beatrice Eichmann-Leutenegger

Sitzt der Organist Erwin Messmer an seinem Instrument, zieht er alle Register. Schreibt er Texte wie die soeben erschienenen Mundartgedichte und -erzählungen, entlockt er auch seinem St. Galler Dialekt eine Vielzahl von Nuancen. Der seit langem in Bern lebende Autor und Musiker, der 1950 in Rorschach geboren wurde, hat seine Ostschweizer Wurzeln nicht vergessen – weder die Sprache der Kindheit noch die hellen und ernsten Momente früher Jahre. Zwar zählt die St. Galler Mundart nicht zu den besonders beliebten Dialekten. Spitz sei sie, sagen manche, aber Erwin Messmer bricht ihr die Spitze und deckt ihre Zartheiten auf. Auch wer annimmt, er könne Mundarttexte aus dieser Region kaum oder gar nicht lesen, irrt sich. Rascher, als man glaubt, gerät man in diese Klangwelten hinein und gewöhnt sich an das Schriftbild. Zwar muten einige Umsetzungen etwas eigenwillig an. Aber man weiss es ja: Für den geschriebenen Dialekt existiert kein verbindlicher Kanon wie für das Schriftdeutsche. Und zweifellos wird man das hilfreiche Glossar schätzen, das der Autor hinzugefügt hat. Ohne Zeigefinger Fast alles, was den Menschen zwischen Geburt und Tod bewegt, findet in diese Texte Eingang: Kälte und Wärme des Daseins, die Grenzen der eigenen Träume, die Fragilität der Beziehungen, die Einsamkeit und das Wehen der Vergänglichkeit. Daneben blühen unbekümmert Humor, Nonsens, ja dadaistischer Ulk, sodass man von Herzen lachen kann. Bisweilen äussern sich in sentenzenartiger Form Lebensweisheiten; aber keine Angst, der Zeigefinger bleibt ausser Aktion. Nicht selten greift Erwin Messmer zum deftigen Vokabular der Malediktologie, sprich: zu Fluchwörtern, und erlaubt seinem lyrischen Ich, munter draufloszuwettern. Dieses lässt sich – sei es im Tram oder in der Bahn, daheim oder in der Beiz, auf dem Markt oder draussen in der Natur – von so vielen Erscheinungen des Lebens anregen, verführen, faszinieren. Und einmal ist es einfach der alte unbeholfene Mann am Klavier mit seinem Haydn-Notenheft, der das Gemüt des Autors anrührt, oder der eigene Vater mit seiner brüchigen Stimme am Telefon. Die Revolution der Gaukler Gern folgt man Erwin Messmer in seine Welten, wo Schmetterlinge die Gauklerrevolution ausrufen, die Männer am Stammtisch fast endlos räsonieren, ein Birkenpsalm angestimmt wird, der Käser hinter dem Marktstand ohne Wimpernzucken die Wünsche einer pingeligen Kundin anhört, der Kaminfeger nie aus dem Fegefeuer gelangen wird, weil es dort so viele Kamine zu putzen gibt, und der GA-Besitzer nicht mehr weiss, was er mit seiner Freiheit anstellen soll. Wohin denn fahren, wenn man sich allein fühlt? Die amüsanten Einfälle schlagen Purzelbäume in diesem Buch, aber dahinter ahnt man ein feines männliches Empfinden.

Erwin Messmer, Äm Chemifäger sis Päch. Gedichte und Kurzprosa im Sankt Galler Dialekt. Drey-Verlag 2014: D-77793 Gutach. 96 Seiten, ca. Fr. 25.–. Dem Buch liegt eine Audio-CD bei, auf welcher der Autor die Gedichte spricht.

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