2. Gletscherzungen-Variationen
Lag wie eine weisse Stola
cool im chill-out
auf den Schultern der Berge.
Als wäre durch sie
eine himmlische Botschaft
zu Tal getragen worden.
Felsrücken und Hochtal waren ihr Bett
die Hänge ihre Backen
Niederschläge ihre Nahrung.
Königlich langsam,
majestätisch weit.
Fürstlich für den Tourismus.
Sie liess sich widerstandslos besteigen,
nahm gelassen Eishaken
in ihrem Körper auf.
Schnee trug andauernd
zum Wachstum bei.
Schnee von gestern.
Schmolz nicht aus Liebe dahin.
Ein Mangel an ihr
war der Grund.
Jünger als das Matterhorn,
älter als alle Schlote,
die ihr zur Last geworden.
Das eisige Schweigen der Wirtschaft
setzte ihr
am meisten zu.
Dass die innige Umarmung
auf einmal aufhörte,
brachte Felsbrocken ins Taumeln.
Rieb sich feucht an Felsen,
küsste kühl was auf ihrem Weg lag.
Liegt schrumpfend im Gaumen.
Leckt nicht mehr an Landschaftslippen,
kitzelt an Talvorsprüngen ein Horn
nicht mehr.
Über ihre zerfliessende Zukunft
wurde an Konferenzen viel gesprochen.
Doch mit gespaltener Zunge.
Lag es in ihrer Natur,
dass sie beim schleichenden Rückzug
nicht ein einziges Mal spie?
Früher hiess es bei Fieber
‹Zunge herausstrecken!›.
Beim heutigen Fieber zieht sie zurück.
Als ob der Berg
sie uns lange Zeit
hätte herausstrecken wollen.
Anhand von Fotos
erklären Grosseltern Enkeln,
warum die Felsen so glatt sind.
Kalberte krachend,
brüllte wie ein Esel nur länger,
der Rückzug aber geschah schleichend.