Thomas Kunst
Erstellt am: März 07, 2016 Kategorie: Rezension Von zoe Keine Kommentare
Endlich ein Dichter!
Eine Rezension von Oliver Füglister, 7.3.2016
Moderne Lyrik ist immer wieder und immer noch vielen modernen Lesern eine Mischung aus Gräuel und hysterischer Erheiterung. Das liegt an vielerlei (die Leserin erforsche sich bitte auch selbst!), aber ein Grund für diese virale Erheiterung und diesen Stupor-Gräuel ist einerseits die Sprache, die moderne Lyrik spricht oder zu sprechen liebt, und andererseits der Inhalt vieler dieser Gedichte, selbstbezüglich und selbstverliebt.
Die Sprache der modernen Lyrik hat seit den Expressionisten etwas Verklausuliert-Abgeschlossenes und Unwegsames gewonnen, etwas abschreckend Indirekt-Uneigentliches. Das gilt auch für die Inhalte moderner Gedichte. Wie oft passiert es dem Lyrik-Konsumenten (ja, auch Lyrik ist Ware!), dass er auszurufen versucht ist: ‹Oh, das meint die Lyrikerin! Kann man das nicht einfacher sagen?!› – und mit ‹einfacher› ist meist: ohne sprachliche Umstände oder ohne all das hermetische Wortgeflatter gemeint. Zudem ist das Inhaltliche des Gedichts häufig so verallgemeinernd und verallgemeinert, dass es schon einem Gemeinplatz gleicht, über den jeder schon mal gestampft ist bei Regen und Sonnenschein.
Wenige deutschsprachige Lyriker haben sich eine zugängliche Sprechweise – wie sie es für den anglo-amerikanischen Sprachraum fast schon Bedingung ist – bewahrt (oder schaufeln den Sprachschnee immer wieder vor ihrer Gedichthütte weg). Wenige deutschsprachige Lyriker schreiben plastische, fleischige Gedichte, die der Leser fast ekelerregend in den Mund nehmen kann, um daran zu saugen und daran herumzu-lutschen und sich sogar (ganz kannibalisch) davon zu ernähren. Einer dieser viel zu seltenen und (darf man sagen?) natürlichen Lyriker ist der Leipziger Thomas Kunst.
Seine Gedichte sind Ausschweifungen in Sprache – und bleiben doch immer ganz konkret, ganz hiesig und hienieden. Bei Thomas Kunst geschieht etwas, was seit den Surrealisten sehr selten geworden ist: das Imaginäre wird fassbar, gegenständlich: wenn der Dichter mit einer Ameise gegen Ezra Pound antritt oder das auf-die-Nordsee-Hinausblicken und sich nach der Liebsten oder der Entliebten Sehnen Wale ins Fenster ruft…
Kunsts Gedichte sind unmittelbar in dem Sinne, als sie wie Transformatoren wirken oder Mangeln – die Wirklichkeit wird durch sie verändert, geglättet und erstmals wahrnehmbar, vernehmbar. Und gleichzeitig ist das sprechende Ich, das ‹lyrische Ich›, perfekt getarnt hinter all den neuartigen Wortpflastern und ‹vergangenheitsdienlichen“ Auskunftspflichtverweigerungen und bleibt also ein Ich, mit dem wir uns durchaus identifizieren können, keines dieser Allerwelts-Ichs der formalen Lyrik zum Beispiel.
Umso mehr, als dieses Ich ein magisch-realistischer Liebhaber ist: unzählige Lieben zu leben fähig scheint, fast schon proustianisch, so scheint es dem Rezensenten, nicht nur jede Frau zur Gazelle und jede Gazelle zur Frau umwandelt, sondern in jeder Frau seine Traumgefährtin erkennt, die er aus seiner Gedichtrippe halb im Schlaf halb im Wachen zu schaffen versucht.
Das ist so romantisch, dass es schmerzt: Diese Gedichte aus 30 Jahren sind so etwas Unmögliches, Unwahrscheinliches wie umgekehrte Schwämme – in ihnen ist alles im Lieben und Leben Aufgesogene ohne Flüssigkeitsverlust in heller Feuchtigkeit (und manchmal Klebrigkeit) nach draussen gekehrt und gewandt, als hielten wir uns den Büstenhalter oder das Unterleibchen des oder der Geliebten unter die Nase. Das pralle Leben, könnte man es nennen, bis an die Schmerzgrenze.
Die Selbstverständlichkeit, mit der ein Mann hier von ‹Frauen bis an die Schmerzgrenze› spricht, mag einige allzu korrekt-vorsichtige Metrosexuelle abschrecken, die lieber (in Kunsts eigenen Worten) ‹Umarmungsgedichte im Westen› statt ‹Liebeslieder im Norden› hätten, aber es ist das eine berauschende, erheiternde Erfahrung. (Und wer hat schon mal von Lyrik als Rauschmittel gehört in der spröden Lyrikerfistelei der heutigen Tage?)
Auch hier aber: redet ein Romantiker und einer mit Leidenschaft und niemals durch die Blume. Und wenn er dies mit einer solchen Wortgewalt (selten ist dieses in den Feuilletonspalten arg missbrauchte Wort so treffend gewesen!) und Wortschöpfungskraft tut, dann wünschen wir nur mehr solcher Dichter und Dichterinnen, die nicht durch die Blume ihrer literaturwissenschaftlichen Verkrüppelung und emotionalen akademischen Leere sprechen, sondern mit dem vollgesogenen schamanisch-mongolischen Brustton der Aufrichtigkeit und Direktheit. (Selbst wenn da ja immer die Gefahr besteht, in einer Pose zu erstarren, denken wir an Bukowski.)
Thomas Kunsts Dichtung durchbricht in jedem Moment die Erwartungen der Leserin, sie verblüfft adjektivisch, erschreckt verbal und veräppelt nominal. Thomas Kunst ist eine der wenigen Stimmen, die keine Sprachkünstelei lispeln, keine ephemer-tragischen Kürzungs- und Kürzestgedichte säuseln, formale Tonalitäten summen oder ihre Sätze mit literarischen Einspielungen würzen, um ihre dichterische Einfallslosigkeit zu tarnen. Thomas Kunst ist ein Rabelais der deutschen Lyrik, und die Auswahl seiner Gedichte aus 30 Jahren, die wir dem Verlag Edition Azur verdanken, lässt den Rezensenten begeistert ausrufen: Danke, Herr Kunst! Mehr davon, Herr Kunst!
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