Tradition

Das Mittelalter verstand sich als der Zwerg, der auf des Riesen Rücken reitet. Selbst der modernste, avantgardistischste Lyriker schwimmt in einem Strom, dessen Herr er nie sein wird: ist im Brecht’schen Sinne ein Nachgeborener. Ihm wird ‹übergeben›, was geblieben ist (Hölderlin: ‹Was bleibet, stiften die Dichter›); er hat es zu bewahren und weiter zu geben: Lyrik ist ein umgekehrtes ‹Do ut des›, ein ‹Nimm, damit du geben kannst›, und töricht ist derjenige, der dem Glauben erliegt, er gebe erstmalig. Wie hat es Tucholsky so schön gesagt: ‹Es gibt keinen Neuschnee›…

Tradition ist Rettung durch Erinnerung; ein Weiterspinnen und Weiterfahren, wo der Faden fallen gelassen und die Achse gebrochen wurde. Ohne dem Gedanken des poeta doctus zu stark anzuhängen, scheint es in einer schnellen, talentgierigen Zeit desto nötiger, sich der Ursprünge literarischer Tätigkeit bewusst zu werden und sein. Anders ausgedrückt: Wer weiß, worauf er gebaut hat, ist vor Überraschungen und Enttäuschungen gefeit.

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