Zwischensichtung Gedichte

lockdown

Versuch über
abstand. als sei er die
messlatte zwischen punkt und
komma als sei der
nachbar ein fremdwort als sei
ich selbst mir
unbereistes land. was ich davon denke findet
platz in einem
handschuhfach lässt sich
falten in den schnabel einer
brieftaube.

Ruth Weber, 21. März 2020


Stillstehen

Der März erstickt
im Angstatem
Die schweren Arme
streicheln im Garten
das neue Leben
Sanft
schaukelt der Zitronenfalter
über die Lichtfelder
und harrt einen Augenblick
ob der Stille

 Irène Häne 30. März 2020 


Coronablüte

Die Blüte schliesst den Kelch
Und die Träne sucht Ihr Quell
Ich streife durchs gefrorene Feld
Und pralle unsanft gegen den Fels

Einzig der Wind fegt gläsern über das Land
Hallt klirrend unser Sommer nach
In erstarrtem Atem wehst Du mir zu
Deine Arme, Dein Gesicht und meine Ruh
Erfroren am Fusse der drei Seen
Unser Wunsch nach Du und Du

Die Angst bleibt haften
Ein Film von nass und kalt
Ob der wirren Zettel im Tagebuch heften
Versteif ich mich aufs Denken
Gefesselt ich im eigenen Licht

Im Teich der Ewigkeit ertrinken
Das Schilf weht weinend weiter
Im Winterwind westwärts winken
Die Wolken dumpf zur Erde sinken
Wirbeln den Staub des Verfehlten auf
Wund vor Schmerz der verpassten Möglichkeit

Was Liebe ist, was wachsen heisst
Was klingt noch nach, was hängt jetzt an
Wer streckt die Arme schon ins morgen
Wenn das Heute uns entglitt
Der Schlange gleich dem Gift zufliegt
Und das gestern schon im Sarge liegt

Marion Panizzon 30. März 2020


À fonds perdu

Ich sehe die Hälse wachsen
und Asche aus irischen Gesichtern
die Krabbengänge würzen
Da oben in den schädelengen Tintenboxen

(Menschen sind Paviane
in den Kehrseiten
von Strauss und Fakt)

Die grünen Kurven sehe ich aufgehen über
Unsummen von klabauternden Kehlköpfen und
Salzweissen 12-Prozent-Orakeln
Da oben in den zinslosen Kohlköpfen

Ich sehe doppelblind in die Lieferketten
und die Perserteppiche mit ihrem Fransenatem
und wie die scharfen Körner auf den Schneckenstrecken keimen
Da oben in den schadhaften Teerkronen

(Kinder sind Schwäne
in den Meridianen
von Dichtung und Gans)

Ich sehe die ungezügelten Epithele
aufgerissen von Hungerabszessen
in langen Streifen umschlingen die Liquidatoren
Da oben in den Sternaborten

Oliver Füglister, 30. März 2020


SchimmeR

ich rate den

wahren namen des

Sternbilds und

/zeichne ihm

einen Rahmen

mit dem finger/

:dessen       LICHTER im see:

ein gefühl als

wärt ihr da,

Warm und Weich

wie Sphinxe

und

Links und Rechts

wie buchstützen

ein wettrennen

den  hügel rauf

&

doppelte nacht                                         doppelte nacht

doppelter orion nebel                                 doppelter orion nebel

doppelte aussicht                           doppelte aussicht

auf ein halbes leben

nur

zum viertel verstanden


Steven Pianelli, 1. April 2020


lufttrug

abendrot durch die latten
nebenan
                  ja was ist damit
mit ebendann

suaden daneben zig
mal angedockt am parabol

ameisen im umlauf
ihrer bahn

gebannt in sein & staub

Cornel Köppel, 5. April 2020 


Forschungsreise

Es herrschte Gedränge
Auf dem Introspektionsschiff
Trotz des empfohlenen Abstands

Man wollte sich nahekommen
Auf der Suche nach den
Ungehobenen Sätzen

In ihre Kapseln stiegen sie
Tiefseehaucher im Kampf

 Marco Berg, 6. April 2020


Love letters

Aufblasbare Liebesgedichte


Inflatable


Inflatio
Inflated 
My bubble gum
Blasio


Odyssee

Schroffe Steine
durchbohren die 
trockene Luft
und lassen sie flirren

Hitze flimmert
im TV
im Kasten der 
noch lebenden Fische

Frischfang
Tiefgang
und schwupp 
sind sie tot

Irgendwo im Dorf beisst 
die Schlange zu

Hunde bellen

 
Spiel

Figg Fagg Fugg


Süsse Frucht


Der Erdbeerstrauch
wächst gern
in die roten Beeren
Spitzen
runden den
süssen Tag


Nach Hause


Heim!
Heimküssen
Nach Hause küssen
Hi
Haiku
Hai küssen
Heimküssen
Hei!

Olivia Zeier, 6. April 2020 


zeichen

ich warte auf abstand
auf die stunde danach
auf den brief und die stimme
den schmerz
ich warte auf das vergessen der vergangenheit
im schlaf und traum
ich warte nicht auf das ende des tunnels
aber auf licht

ich schicke der einsamkeit
eine ansichtskarte
sie antwortet in spiegelschrift
mit vielen grüssen
von gestern

Getraud Wiggli, 7. April 2020


Die schmutzigen Turnschuhe

Die schmutzigen Turnschuhe sind
das Schmuckstück in meiner Wohnung
Sie sehen schön aus
Die Walderde an ihren Sohlen ist getrocknet
Ich will nicht, dass sie abfällt, sie lockert
Meine trüben Gedanken und gräbt sie um

Die ungepflückte Vogelfeder auf dem Fenstersims
Setze ich in eine Vase ohne Blumen
Sie sieht schön aus
Ich will nicht, dass sie davonfliegt
Meine trüben Gedanken fliegen davon

Ich denke an eine Frau
Mit Vornamen V.
Sie sieht schön aus
Ich will, dass es ihr gut geht

Beatrice Haupt, 9. April 2020


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