Zwischensichtung Gedichte
Erstellt am: Februar 25, 2021 Kategorie: Carte blanche Von zoe Keine Kommentare
lockdown
Versuch über
abstand. als sei er die
messlatte zwischen punkt und
komma als sei der
nachbar ein fremdwort als sei
ich selbst mir
unbereistes land. was ich davon denke findet
platz in einem
handschuhfach lässt sich
falten in den schnabel einer
brieftaube.
Ruth Weber, 21. März 2020
Stillstehen
Der März erstickt
im Angstatem
Die schweren Arme
streicheln im Garten
das neue Leben
Sanft
schaukelt der Zitronenfalter
über die Lichtfelder
und harrt einen Augenblick
ob der Stille
Irène Häne 30. März 2020
Coronablüte
Die Blüte schliesst den Kelch
Und die Träne sucht Ihr Quell
Ich streife durchs gefrorene Feld
Und pralle unsanft gegen den Fels
Einzig der Wind fegt gläsern über das Land
Hallt klirrend unser Sommer nach
In erstarrtem Atem wehst Du mir zu
Deine Arme, Dein Gesicht und meine Ruh
Erfroren am Fusse der drei Seen
Unser Wunsch nach Du und Du
Die Angst bleibt haften
Ein Film von nass und kalt
Ob der wirren Zettel im Tagebuch heften
Versteif ich mich aufs Denken
Gefesselt ich im eigenen Licht
Im Teich der Ewigkeit ertrinken
Das Schilf weht weinend weiter
Im Winterwind westwärts winken
Die Wolken dumpf zur Erde sinken
Wirbeln den Staub des Verfehlten auf
Wund vor Schmerz der verpassten Möglichkeit
Was Liebe ist, was wachsen heisst
Was klingt noch nach, was hängt jetzt an
Wer streckt die Arme schon ins morgen
Wenn das Heute uns entglitt
Der Schlange gleich dem Gift zufliegt
Und das gestern schon im Sarge liegt
Marion Panizzon 30. März 2020
À fonds perdu
Ich sehe die Hälse wachsen
und Asche aus irischen Gesichtern
die Krabbengänge würzen
Da oben in den schädelengen Tintenboxen
(Menschen sind Paviane
in den Kehrseiten
von Strauss und Fakt)
Die grünen Kurven sehe ich aufgehen über
Unsummen von klabauternden Kehlköpfen und
Salzweissen 12-Prozent-Orakeln
Da oben in den zinslosen Kohlköpfen
Ich sehe doppelblind in die Lieferketten
und die Perserteppiche mit ihrem Fransenatem
und wie die scharfen Körner auf den Schneckenstrecken keimen
Da oben in den schadhaften Teerkronen
(Kinder sind Schwäne
in den Meridianen
von Dichtung und Gans)
Ich sehe die ungezügelten Epithele
aufgerissen von Hungerabszessen
in langen Streifen umschlingen die Liquidatoren
Da oben in den Sternaborten
Oliver Füglister, 30. März 2020
SchimmeR
ich rate den
wahren namen des
Sternbilds und
/zeichne ihm
einen Rahmen
mit dem finger/
:dessen LICHTER im see:
ein gefühl als
wärt ihr da,
Warm und Weich
wie Sphinxe
und
Links und Rechts
wie buchstützen
ein wettrennen
den hügel rauf
&
doppelte nacht doppelte nacht
doppelter orion nebel doppelter orion nebel
doppelte aussicht doppelte aussicht
auf ein halbes leben
nur
zum viertel verstanden
Steven Pianelli, 1. April 2020
lufttrug
abendrot durch die latten
nebenan
ja was ist damit
mit ebendann
suaden daneben zig
mal angedockt am parabol
ameisen im umlauf
ihrer bahn
gebannt in sein & staub
Cornel Köppel, 5. April 2020
Forschungsreise
Es herrschte Gedränge
Auf dem Introspektionsschiff
Trotz des empfohlenen Abstands
Man wollte sich nahekommen
Auf der Suche nach den
Ungehobenen Sätzen
In ihre Kapseln stiegen sie
Tiefseehaucher im Kampf
Marco Berg, 6. April 2020
Love letters
Aufblasbare Liebesgedichte
Inflatable
Inflatio
Inflated
My bubble gum
Blasio
Odyssee
Schroffe Steine
durchbohren die
trockene Luft
und lassen sie flirren
Hitze flimmert
im TV
im Kasten der
noch lebenden Fische
Frischfang
Tiefgang
und schwupp
sind sie tot
Irgendwo im Dorf beisst
die Schlange zu
Hunde bellen
Spiel
Figg Fagg Fugg
Süsse Frucht
Der Erdbeerstrauch
wächst gern
in die roten Beeren
Spitzen
runden den
süssen Tag
Nach Hause
Heim!
Heimküssen
Nach Hause küssen
Hi
Haiku
Hai küssen
Heimküssen
Hei!
Olivia Zeier, 6. April 2020
zeichen
ich warte auf abstand
auf die stunde danach
auf den brief und die stimme
den schmerz
ich warte auf das vergessen der vergangenheit
im schlaf und traum
ich warte nicht auf das ende des tunnels
aber auf licht
ich schicke der einsamkeit
eine ansichtskarte
sie antwortet in spiegelschrift
mit vielen grüssen
von gestern
Getraud Wiggli, 7. April 2020
Die schmutzigen Turnschuhe
Die schmutzigen Turnschuhe sind
das Schmuckstück in meiner Wohnung
Sie sehen schön aus
Die Walderde an ihren Sohlen ist getrocknet
Ich will nicht, dass sie abfällt, sie lockert
Meine trüben Gedanken und gräbt sie um
Die ungepflückte Vogelfeder auf dem Fenstersims
Setze ich in eine Vase ohne Blumen
Sie sieht schön aus
Ich will nicht, dass sie davonfliegt
Meine trüben Gedanken fliegen davon
Ich denke an eine Frau
Mit Vornamen V.
Sie sieht schön aus
Ich will, dass es ihr gut geht
Beatrice Haupt, 9. April 2020
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