Kalender 2013

AUTOR:INNEN

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1

Älteste Kirche Norwegens am Sund

Seit fast tausend Jahren
bewacht das Kirchlein – sichtbar für die
vorbeifahrenden Schiffe – die See, den Sund.
Viele Winter haben mit ihrem Dämmerlicht
die alten Mauern zum Glühen gebracht
und die Steine des Kirchhofs wie lebendige Gestalten umgeben.
Seit Jahrhunderten nehmen sie das
Klatschen der Wellen auf, unerschütterlich
in guter wie in böser Zeit.
Der Horizont ist unendlich am Fuss des Sunds.
Die winterliche Morgen-Dämmerung taut ganz leise auf
so wie der Schnee auf dem Weg zum Kirchlein.
Es ist ein Ort, am Ende der Welt
wo der Menschen Herzen
zusammen kommen, ohne es zu merken.

 

Jacqueline Wolff
aus dem Lyrikkalender 2013/12
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2

Silvester

Bevor der Himmel anfing zu leuchten
am Horizont der Schneeberge
kam die Nacht
über die schwarzen arktischen Wellen.
Wohl glitzerte der Halbmond
und der Schnee leuchtete
das Polarlicht wehte zwischen den Sternen
im Schiff war das Leben, das Licht
auch in den Häusern des Hafens.
Was wollte ich sagen?
Das Gesicht des Seehunds gleicht den Menschen-Kindern.
Die Gedichte auf Norwegisch
im Radio in deiner Kabine
schwingen in deinen Ohren
wie das mystische Nachtlicht draussen.
Ich höre das Geklapper des Silvester Buffets
das gerichtet wird.
Sehnsucht.
Einsamkeit.

 

Jacqueline Wolff
aus dem Lyrikkalender 2013/12
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1

dämmerung

auf
zehenspitzen
entfernt
sich
die
zeit
bleibt
kleben
in
den
spinnfäden
der
dämmerung

 

Caecilia Bühlmann-Imboden
aus dem Lyrikkalender 2013/11
von Pro Lyrica
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1

auf der suche nach

was
würde
ich
gewinnen
wenn
ich
aufhören
würde
zeit
zu
verlieren

glück
vielleicht

 

Caecilia Bühlmann-Imboden
aus dem Lyrikkalender 2013/11
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1

LÄRCHEN

Zufrieden seid ihr
in eurem satten Grün
nicht ahnend
welche Künstlerhand
euch
in die vollkommene
goldschimmernde Farbenpracht
verwandeln wird

 

Mareile Wolff
aus dem Lyrikkalender 2013/10
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2

SCHMETTERLINGSNETZ

Mein Schmetterlingsnetz stets zur
Seite
Glücksaugenblicke einzufangen
sie behutsam aus dem Netz lassen
ohne die verletzlichen Flügel zu
brechen

 

Mareile Wolff
aus dem Lyrikkalender 2013/10
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1

APEL BAUM ZEIT

Die Zeit
kreist
um den Apfelbaum.

Die Zeit
reift
am Apfelbaum.

Nimm
dir die Zeit
plücke die Äpfel.

Und du
issest die Zeit
vom Apfelbaum.

 

August Guido Holstein
aus dem Lyrikkalender 2013/9
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2

‹LA VITA›

Auf dem stadtgekrönten Hügel
‹DELLA MADRE DI DIO›

Hinter fackelnden Kerzen
‹MADONNA CON IL BAMBINO›

Dunkel flammende Zypressen
in den Mauern des ‹CIMITERO›

Werden und Vergehen
zwischen den Gassen ‹DELLA VITA›

Fussgetretene Steinplatten
glänzen im Schimmer ‹DELLA LUCE›

Stehn hinterm Ladentisch
‹DURANTE TUTTA LA VITA›

 

August Guido Holstein
aus dem Lyrikkalender 2013/9
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1

SONNENSTRASSE

die Abendsonne zeichnet
eine goldglänzende Strasse
über den See
darauf übers Wasser laufen
zum Sonnenuntergang
und mit ihr ziehen
rund um die Welt

 

Marian Ulrich
aus dem Lyrikkalender 2013/8
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2

ABENDSEE

in rosa Abendrot getaucht
am Rande violett und silbern
dazu noch eine Prise hellblau
gleich einem pastellfarbenen
Sommerblumenstrauss
der See nach Sonnenuntergang

Marian Ulrich
aus dem Lyrikkalender 2013/8
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1

VORBEI IST VORBEI

Sie meinte, gar nichts mehr zu müssen

spürte den warmen Sand unter den Füssen

schaute endlos auf das Meer hinaus

suchte sich im eigenen Haus.

Sie meinte,

gar nichts mehr zu müssen

sehnte sich nach warmen Küssen

schaute endlos in das weite Blau

suchte sich im eigenen Bau.

Und meinte,

gar nichts mehr zu müssen

wurde selbst zum Sand an ihren Füssen

weggespült von kleinen Wellen

zu unbekannten Lebensschwellen.

 

Edith Saner-Furrer
aus dem Lyrikkalender 2013/7
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2

KOPFSTAND

Höhen als Tiefen erleben

auf Erden im Himmel zu schweben

Berge versetzen zu lassen

den Hochzeitstag mal zu verpassen

Zum Frühstück eine Pizza essen

die Tageszeitung zu vergessen

Die Nacht bei Tageslicht erleben

am Tag in Dunkelheit entschweben

Sich auf eigenen Händen tragen

Träume in die Nacht vertagen

Edith Saner-Furrer
aus dem Lyrikkalender 2013/7
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1

     Flüster

geräusche

 

      des

           grünenden

Tages

 

               jubelnder

Perlon-Gesang

                           das Lied

     der Amsel

Barbara Gaugler-Straumann
aus dem Lyrikkalender 2013/6
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2

                                                                     Es ist gut

                                                                  in die Nacht

                                                               hineinzuhorchen

                                                          über den 

                                                        Feldern

                                                      liegt

                                                    Ewigkeit

                                              und aus

                                            den Wassern

                                         steigen stumm

                                      empor die

 

                               MOND-

                LICHT-

             NEBEL

Barbara Gaugler-Straumann
aus dem Lyrikkalender 2013/6
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1

Von diesem Lächeln zu erzählen schweigt sie

feiner Nebel liegt über den Seelenbergen

dazwischen ist geheimnisvoll das Meer

Ausläufer einer Unendlichkeit aber hier in

die Erdenschwere gekleidet trägt sie mit Würde

den Mantel wie ein wogendes Ährenfeld

in das die menschliche Trauer gesät

worden ist helle Träume steigen

aus den offenen Händen in ihr Gesicht

schaukeln um den Mund und legen sich

in ihren Lidern nieder um einmal als stilles

Lächeln sich an unsere Zeit zu verschenken

Mona Lisa

Leonardo Da Vinci

Matthias Müller Kuhn
aus dem Lyrikkalender 2013/5
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2

Diesen Himmelssturm aushalten

Wirbel von Lüften Sternengesang

Ströme fliessen leise durchs All

die nahen Hügel drehen sich mit

schwarz windet sich die Zypresse empor

dunkle Erinnerung an einen längst vergangenen Tag

die Häuser klammern sich aneinander

um nicht fort geschleudert zu werden

im Dorf flüstert die Kirche ihren leisen Segen

in den Fenstern halten sich bange Lichter fest

dass nur nicht die Welt entzückt vom Tanz

der Sterne sich an die Nacht verliert

Sternennacht

Vincent van Gogh

Matthias Müller Kuhn
aus dem Lyrikkalender 2013/5
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1

LOHNENDE  REISEN

 

Die Stadt liegt bei CARTHAGO.  Niederschläge
genügen. Scheint die Sonne, gibts Erträge.

 

Was HOCHSCHULFORSCHUNG äussert, mehr entspricht
der Wahrheit, als was meint Plebejerschicht.

 

BURGUND: Romanik-Kunst am Dom ruft wach
das Letztgericht. Lies Steinmetz-Almanach!

 

B         L          A        U         T        U         N         I          S

 

            L          A        U         T        U         N         I

 

                        A         U         T        U         N

 

 

Reinhard Genner
aus dem Lyrikkalender 2013/4
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2

VON DER SIE,  DEN SIEGEN,  DEN SIEGELN

 

Motiv zur Abbildung sich eignet
des Ortswahrzeichens beispielsweise.
In Lack gefällt das Konterfei.

S I E G E L B A R                         

 

In edlen Wettstreit sich begaben
Korfu, Napoleons Wohnsitz, Malta,
wieviel geschichtlich sie bedeuten.

S I E G E L B A                         

 

Bewohner von Ostasien anders
sind koloriert, was Haut betrifft;
mit Weissem wurde Frau getraut.

S I E G E L B

                          

Sie schützen das Eigentum vor Fälschung;
gebrauchen im Alten Orient,
zur Ritterzeit durch Fürsten, Städte.

S I E G E L 

                              

Ein Heer erringt sie über Gegner,
ein Angegriffener bodigt Erzfeind,
sein eigenes Ich ein Held bezwingt.

S I E G E  

 

Reinhard Genner
aus dem Lyrikkalender 2013/4
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1

WINTERNÄCHTE

Wenn Winternächte in den

Frühling fallen

die Morgen heller

die Abgase dichter werden

stechende Märzsonne und

weissblaue Himmel über 

bleichen Sommertagen liegen

dann trösten zögernde Vogelrufe

die noch blattlos zitternden Birken

 

Gisela K. Wolf
aus dem Lyrikkalender 2013/3
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2

AUFERSTEHUNG

Winterschmelze im Licht der

Auferstehung

Forsythien werfen Gelb in den Regen

Spechte nageln Hoffnung in die Bäume

Stare erschwatzen sie

Möwen zerzausen im Flug über 

dem Rhein den

Rauch der Fabrikkamine

 

Gisela K. Wolf
aus dem Lyrikkalender 2013/3
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1

D a m o k l e s

D a m o k l e s

H e r r  d e s  S c h w e r t e s

K i t z e l s t  d e n

R e s t  m e i n e r

H a a r e

S e c h s 

Q u ä l e n d e  M o n a t e

M e m e n t o  c a n c e r i s

Jochem Kessler
aus dem Lyrikkalender 2013/2
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2

GEGENWART

GEGENWART

nur ein Augenblick
eingequetscht
zwischen
Vergangenheit und Zukunft

GEGENWART

Rasende Wanderschaft
in der Unendlichkeit der Zeit
auf der Flucht
vor der Vergangenheit
die Zukunft nie einholend

GEGENWART

Existent
und doch vergänglich
zerfliessende 
Fiktion

 

Jochem Kessler
aus dem Lyrikkalender 2013/2
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1

BEEINFLUSST

Wir
fliessen 
in die Zeit 
aufwärts
abwärts
im grossen 
Fluss
fliesst
die Zeit
in uns

Rose-Marie Uhlmann
aus dem Lyrikkalender 2013/1
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2

BEEINFLUSST

Was
einmal
ist

wir
ordnen es
immer wieder
neu

so dass es

owohl
es
dasselbe
ist

anders
scheint

Rose-Marie Uhlmann
aus dem Lyrikkalender 2013/1
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#

QUELLE

Ich hielt die Quelle für versiegt
harrte davor
in Geduld ergeben
unerwartetes Sprudeln

Mareile Wolff
aus dem Lyrikkalender 2013/Titelblatt
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Alle vorhergehenden Gedichte sind dem Pro Lyrica Lyrikkalender 2013 entnommen.
© 2013 by den Autoren

 

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