Diktat

Dichten hat etwas Diktatorisches, Zwanghaftes. (Diktat ist ein Wort, das im Deutschen ab 1600 Gebrauch findet und auch – Machtspruch heissen kann.) Wer nach-schreibt (so die Bedeutung von lat. ‹Dictare›), schafft nichts Neues, er reproduziert. Wer jedoch fehlerhaft nach-schreibt, schafft Neues, er produziert. Zwischen diesen beiden Polen spielt sich Lyrik (und jegliche schriftliche Äusserung) ab.

Nur zu oft haben Schreibende, und Lyriker vielleicht mehr als alle andern, das Gefühl, dass sich quasi ‹in ihrem Rücken› Prozesse abspielen, die zu einem Gedicht führen. Hier wäre auch auf das prophetische Sprechen in der Bibel hinzuweisen, die Vor- bzw. Eingabe von höherer Stelle. Moderne Menschen versuchen dieses beängstigende Gefühl von Abhängigkeit und inspirierter Somnambulismus mit linguistischen und poststrukturalistischen Erklärungen wegzurationalisieren. Doch das Zwanghafte, Manische und Arbiträre jeglichen Dichtens bleibt.  OF

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